Wir zitieren Alois Hotschnig und danken herzlich für einen anspruchsvollen, menschlichen Abend.
Der Platz, an dem ich lese
„Einer traute sich nicht über den Dorfplatz zu gehen, durch die Blicke der anderen, durch die er hindurch musste wie durch eine Beichte, damit fing es an. Die Geschichte dieses Mannes lockte mich in ein Buch. In die Bücher, die ich seither nicht mehr verließ. Sein Dorfplatz war auch mein Platz, wusste ich. Die Blicke der anderen waren mir bekannt. Und vertraut. Dieser Mann war ich selbst. Und auch nicht. Ich folgte dem Mann und las mich von Dorfplatz zu Dorfplatz, von einem Ort, den ich kannte, zum nächsten, von einer Geschichte, die ich mir war und nicht war, zur nächsten und zu mir zurück. Das Gelesene ließ mich verändert zurück, merkte ich. Auch der Ort, an dem ich las, war nicht mehr derselbe danach, von da an. So machte ich mich auf den Weg in die Bücher und hielt mich dort auf und kam verändert aus ihnen heraus jedes Mal, und war doch angelangt, endlich, bei mir, und auch nicht. Mit den Büchern wechselten die Orte, an denen ich las. Wohin auch immer ich kam, jeder Ort hielt seine Geschichte bereit, die gelesen sein wollte. Ich las. Im Buch und darüber hinaus. Denn was zu sehen ist, ist auch außerhalb der Bücher zu sehen. Seither lese ich Menschen. Der Ort, an dem ich lese, sind die anderen. Der Ort, an dem ich lese, bin ich selbst.“